Einfache Gewitter: Roman (German Edition) by Boyd William

Einfache Gewitter: Roman (German Edition) by Boyd William

Autor:Boyd, William [Boyd, William]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: eBook Berlin Verlag
veröffentlicht: 2010-10-08T22:00:00+00:00


27

Luigi persönlich legte den dicken Umschlag auf den Schreibtisch.

»Danke, Luigi«, sagte Ingram. »Wir sehen uns um sechs, wie immer.«

Er wollte gerade den Umschlag öffnen, als ihn wieder dieses teuflische Jucken befiel – diesmal unter der rechten Fußsohle. Mit einem Tritt schleuderte er den Schuh weg, er zog die Socke aus und kratzte sich mit Inbrunst. »Jucken« war ein viel zu lahmes Wort, es fühlte sich an, als würde eine glühende Akupunkturnadel in seine Haut gebohrt und dann hin und her bewegt. Außerdem schienen diese Stiche überall an seinem Körper aufzutreten – in der Achselhöhle, am Hals, im Fingergelenk, im Gesäß –, und doch gab es keine Spuren von Insektenstichen oder Hautausschlag. Irgendwelche Nervenenden spielten da verrückt, vermutete er, und allmählich fragte er sich, ob das mit den seltsamen Blutflecken zu tun hatte, die er alle paar Tage auf seinem Kissen fand und die von irgendeiner Wunde im Gesicht oder am Hals stammen mussten. Jedenfalls hatte das Jucken ein oder zwei Wochen nach den ersten Blutflecken angefangen – möglicherweise bestand kein Zusammenhang. (War es eine natürliche Folge des Alterns? Er war schließlich nicht mehr der Jüngste.) Wenn das Jucken losging, konnte er es unmöglich aushalten, er musste sich mit Gewalt kratzen, und damit brachte er es sofort zum Verschwinden.

Er zog die Socke und den Schuh wieder an und lenkte seine Aufmerksamkeit auf Luigis Umschlag. Er enthielt Philip Wangs Terminkalender. Auf einen bloßen Verdacht hin – und weil er Keegan und de Freitas etwas entgegensetzen musste – hatte er Luigi zu den Calenture-Deutz-Labors in Oxford geschickt und den Kalender holen lassen. Er schlug ihn auf, begann mit dem Jahresanfang und arbeitete sich langsam vorwärts. Nichts Dramatisches, das tägliche Programm eines vielbeschäftigten Laborchefs, eine langweilige Sitzung nach der anderen, nur die wenigsten hatten direkt mit Zembla-4 zu tun. Doch als er sich dem letzten Tag in Wangs Leben näherte, änderte sich dieses Muster. In den letzten zehn Tagen häuften sich plötzlich die Dienstreisen – Reisen zu allen vier Felicity-de-Vere-Kliniken, in denen die klinischen Erprobungen stattfanden, nach Aberdeen, Manchester, Southampton und schließlich St. Botolph in London – am Tag vor seinem Tod. Als er umblätterte, zu Wangs Todestag, sah Ingram, dass nur ein Termin eingetragen war: »Burton Keegan, C-D, 15.00«.

Ingram klappte den Kalender zu und dachte nach.

Nichts daran war ungewöhnlich – und deshalb von der Polizei nicht weiter untersucht worden, wie er vermutete –, der typische Alltag eines Immunologen im Forschungsbetrieb. Außer man sah es aus einem anderen Blickwinkel – dem Blickwinkel von Ingram Fryzer.

Er ließ sich von Mrs Prendergast mit Burton Keegan verbinden.

»Burton, hier Ingram. Haben Sie einen Moment?«

Er hatte.

»Eben kam ein Anruf von der Polizei wegen Philip Wang. Sie versuchen, den Ablauf seiner letzten Tage zu rekonstruieren, und sie scheinen zu glauben, dass er noch an seinem Todestag zu uns in die Firma gekommen ist. Ich sagte, das sei nicht möglich – ich habe ihn an dem Tag nirgends im Haus gesehen. Sie etwa?«

»Äh, nein. Nein, ich auch nicht.«

»Dann muss es sich um einen Irrtum handeln. Ich gebe der Polizei Bescheid. Danke, Burton.



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